Inhalt

Dissertation

Besitz und Besitzer in der Sprachentwicklung von deutschen und italienischen Kindern

Einfluss der Muttersprache: Jede Sprache hat ihre Kindersprache

Universelle Vorgänge im Spracherwerb: sprachliche Unterscheidung zwischen "meins" und "nicht meins"

Individuelle Strategien und Entwicklungsfortschritte

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Technische Universität Braunschweig
Institut für Psychologie
Abteilung für Enwicklungspsychologie
Professor Dr. Werner Deutsch
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Dr. Claudia Ruff

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Universität Hamburg
Graduiertenkolleg Kognitionswissenschaft, Schwerpunkt:
Sprachentwicklung
und Sprachentwicklungs-
störungen

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Dissertation

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Besitz und Besitzer in der Sprachentwicklung von deutschen und italienischen Kindern

Die Arbeit untersucht die Entwicklung der Besitzkonstruktionen im Erstspracherwerb von deutschen und italienischen Kindern. Anhand der Besitzkonstruktionen kann die Entwicklung der pronominalen Personenreferenz gut nachvollzogen werden. Wenn anwesende Personen die Besitzer eines beschriebenen Gegenstandes sind, müssen diese Personen pronominal benannt werden. Die rein deskriptiven Besitzkonstruktionen sind im Verlauf der Entwicklung lange Zeit ein Bereich, der von der pronominalen Personenreferenz ausgeschlossen bleibt. Die Entwicklung der pronominalen Personenreferenz im Bereich der Beschreibung von Besitzbeziehungen ist ein wichtiger sprachlicher Fortschritt, der den Erwerb der zielsprachlichen Deixis anzeigt.

Dreizehn Kinder, sieben deutsch- und sechs italienischsprachige, werden alle zwei Wochen in der häuslichen Umgebung aufgesucht. Dort betrachten sie gemeinsam mit der Mutter Fotografien von Gegenständen, die ihnen selbst, der Mutter oder dem Vater gehören. Die Mutter stellt die Standardfragen "Was ist das?" bzw. "Che cos’è?" und "Wem gehört das?" bzw. "Di chi è?". Der Vater ist in der Untersuchungssituation nicht anwesend.

Die Auswertung der Daten lässt Rückschlüsse auf die Wirkung unterschiedlicher Faktoren auf den Verlauf des Spracherwerbs zu:

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Einfluss der Muttersprache: Jede Sprache hat ihre Kindersprache

Die Zielsprachen der untersuchten Kinder, deutsch und italienisch, unterscheiden sich grammatisch in bestimmten Bereichen wie der Wortstellung, dem Gebrauch des Artikels und besonders dem Gebrauch von Pronomen. In den kindersprachlichen Äußerungen lässt sich der Einfluss bestimmter Merkmale der zielsprachlichen Grammatik nachweisen. Der Einfluss der Struktur der Zielsprache auf die sprachliche Form der Kindesäußerungen wird in der Analyse der einzelnen Konstruktionen sehr deutlich. Die zielsprachlichen Elemente, die die Kinder in ihre eigenen Äußerungen aufnehmen, sind innerhalb einer Sprachgruppe sehr ähnlich. Das Genitiv-s in der deutschen und die Präposition „di“ in der italienischen Gruppe sind nach der Wortstellung die ersten Elemente der zielsprachlichen Grammatik, die die Kinder in ihre Äußerungen aufnehmen.

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Universelle Vorgänge im Spracherwerb: sprachliche Unterscheidung zwischen "meins" und "nicht meins"

Der Kontext, in dem eine Äußerung erfolgt, beeinflusst die Wahl der sprachlichen Form. In dieser Untersuchung kann gezeigt werden, dass es für die Kinder beider Sprachgruppen einen wichtigen kontextuellen Unterschied zwischen verschiedenen Besitzbeziehungen gibt. Sowohl deutsche als auch italienische Kinder entwickeln die pronominale Personenreferenz zunächst für die eigene Person als Besitzer. Für die Benennung der anderen Personen, auch der anwesenden Mutter, werden die nominalen Besitzkonstruktionen elaboriert.

Die Form-Funktions-Kopplung von pronominaler Benennung der eigenen Person als Besitzer und nominaler Benennung der fremden Personen wird im statistischen Vergleich aller Äußerungen sehr deutlich. Bei der Analyse der einzelnen Entwicklungsverläufe zeigt sich jedoch, dass es sich nicht um eine feste Verbindung, sondern eher um eine regelhafte Präferenz handelt. Die sprachliche Unterscheidung von eigenem und fremdem Besitz ist für die Kinder nicht normativ im Sinne einer Eigenregel (Stern & Stern, 1987/1928). Wenn die kommunikative Situation es erfordert, kehren sie zur kindersprachlichen nominalen Benennung der eigenen Person zurück. Der Erfolg der Kommunikation hat den Vorrang vor der Verwirklichung grammatischer Regeln.

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Individuelle Strategien und Entwicklungsfortschritte

Jedes Kind ist etwa drei Monate lang in seiner Entwicklung beobachtet worden. So sind Aussagen über individuelle Strategien oder Präferenzen für bestimmte sprachliche Formen durch einzelne Kinder möglich. Auch die Veränderungen des Formeninventars der einzelnen Kinder im Verlauf des Untersuchungszeitraums konnten erfasst werden. Die für die gesamte Gruppe nachgewiesene sprachliche Unterscheidung von eigenen und fremden Objekten kann in den Daten der einzelnen Kinder nachvollzogen werden. Dabei zeigt sich, dass die formalen Merkmale, die die Kinder verwenden, im Detail sehr unterschiedlich sein können. Possessivpronomen etwa werden in den ersten pronominalen Besitzkonstruktionen der deutschen Kinder häufig noch nicht richtig dekliniert. Die Kinder verwenden eine bevorzugte Form, häufig „meine“ oder „meiner“, in Verbindung mit allen Nomen. Einige italienische Kinder verwenden den Artikel beinahe zielsprachlich, während andere ihn nur mit dem Nomen zur Bezeichnung des Possessums verwenden. Auf der formalen Ebene zeigt sich eine Vielzahl von Unterschieden zwischen den einzelnen Kindern. Diese Unterschiede machen deutlich, dass Kinder die in der Zielsprache wahrgenommenen Formen nicht einfach übernehmen, sondern dass sie sie neu interpretieren. Jedes Kind sucht nach Möglichkeiten, bestimmte Funktionen auszudrücken. In der Untersuchungssituation ist die Beschreibung der Besitzbeziehung die Funktion, die jedes Kind mit den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Formen ausdrückt.

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich mit Hilfe eines kognitiv-funktionalen Modells der Sprachentwicklung deuten. Im Mittelpunkt dieses Modells steht die kognitive Aktivität des Kindes. Das Kind ordnet die verschiedenen sprachlichen Formen, die es wahrnimmt, verschiedenen Situationen zu, in denen sie angemessen scheinen. Die Kategorisierung der einzelnen Situationen zu verschiedenen kontextuellen Zusammenhängen entspricht nicht immer der zielsprachlichen Kategorisierung. So kommt es zu systematischen Abweichungen von der Zielsprache. Die Formen, die das Kind in der gehörten Sprache wahrnimmt werden in kindersprachlichen Funktionen verwendet. Die unterschiedliche sprachliche Benennung von eigenen und fremden Objekten mit pronominalen bzw. nominalen Besitzkonstruktionen ist so eine kindersprachliche Unterscheidung.

Die Kinder verwenden die verschiedenen Formen der Zielsprache in den Situationen, die ihnen angemessen erscheinen. Sie schöpfen dabei aus dem Formeninventar, dass die Zielsprache ihnen bietet. So sind die Besitzkonstruktionen, die deutsche und italienische Kinder verwenden, deutlich von der Struktur der beiden Zielsprachen bestimmt. Auch wenn die Kinder noch nicht alle Merkmale der Zielsprache verwirklichen, nehmen sie die grammatischen Markierungen für Besitz, die ihnen wichtig erscheinen, bald auf. So ist das parallele Auftreten des Genitiv-s und der Präposition „di“ in den deutschen bzw. italienischen Kindesäußerungen zu erklären. Ähnliche kognitive Konzepte werden mit den Mitteln der jeweiligen Zielsprache ausgedrückt.

Die kognitive Aktivität des Kindes, seine aktive Auseinandersetzung mit der sprachlichen Umwelt, sind am bereichsspezifischen Erwerb der pronominalen und nominalen Besitzkonstruktionen gut zu beobachten. Ein kognitives Konzept, die Unterscheidung zwischen eigenem und fremdem Besitz, führt zur unterschiedlichen sprachlichen Benennung der eigenen Person als Possessor auf der einen und anderer Personen, wenn sie Besitzer sind, auf der anderen Seite.

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Veröffentlichung

Diese Arbeit wurde veröffentlicht an der Technischen Universität Brauschweig unter http://www.biblio.tu-bs.de/ediss/data/20010111a/20010111a.html.
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